Welcher Antiquariatsbuchhändler kann heute noch solche Geschichten erzählen? Diese beiden Frauen, beide aus jüdischen deutsch-amerikanischen Familien stammend, haben fast ihr ganzes Leben seltenen Büchern gewidmet.
In dieser Doppel-Biografie erzählen Leona Rostenberg und Madeleine Stern abwechselnd über ihr Leben. Doch vorher berichten sie im Prolog, wie es dazu kam:
Leona Rostenberg und Madeleine Stern (im Weiteren schreibe ich nur Leona und Madeleine) befinden sich 1995 in ihrem für den Sommer gemieteten Landhäuschen in East Hampton, als das Telefon klingelt und sich der Doubleday-Verlag bei ihnen meldet. Die haben einen Artikel über die beiden Frauen in der Times gelesen und fragen nun an, ob sie für den Verlag ein Buch schreiben wollen. Eine gemeinsame Autobiografie etwa. Da das Buch ja erschienen ist (was für ein Verlust, wenn es nicht dazu gekommen wäre), lautete die Antwort nach reiflichen Überlegungen ja.
Im Prolog erfahre ich noch etwas über ihrer beider Herkunft, dass Madeleine schriftstellerisch tätig war und Leona "die überraschende Entdeckung von Louisa Alcotts Pseudonym und ihrer unter Pseudonym veröffentlichten Sensationsromane" machte. Madeleine spürte diese Romane auf und stellte sie zu einer Serie von Anthologien zusammen.
Wunderschön, wie sie ihr Geschäft, den Handel mit seltenen Büchern, beschreiben:
"Es ist ein Geschäft, bei dem Wissen Macht bedeutet und detektivische Fähigkeiten oft eine wichtige Rolle spielen. Das elektrisierende Gespür dafür, was an einer Erstausgabe oder einem frühen Druck besonders bemerkenswert ist, wird in unserer Branche als Fingerspitzengefühl* bezeichnet. Wenn Fingerspitzengefühl* sich mit glücklichem Zufall paart, dann öffnet sich für diejenigen, die mit dem Alten und Seltenen handeln, die Pforte zum Paradies. Leona hat diese Faszination während einer langen Lehrzeit kennen gelernt, und Madeleine hat sie von ihr gelernt. Alle beide sind wir seit einem halben Jahrhundert dieser Faszination erlegen und werden ihr auch weiterhin immer wieder aufs Neue erliegen."
Hach, liest sich das nicht wundervoll? (Anm. d. Übers.: "Ausdrücke, die im Original auf Deutsch stehen, werden durch * gekennzeichnet.")
Und dann erzählen sie, beginnend bei ihrer Kindheit und immer mit einer Prise Humor. Leona reichte mit zwei Jahren bis zum untersten Regal des Bücherboards, und ihre Mutter prophezeite, dass sie eines Tages eine Schriftstellerin werden würde. Sie liebte Bücher von klein auf und lag ihrer Mutter permanent in den Ohren, in die "Bibothek" zu gehen. Ihre Wahl fiel auf ein "Bilderbuch unserer großen Führer".
"Stolz marschierte ich mit meiner Wahl von dannen, noch immer den muffigen, staubigen Geruch von Büchern in der Nase, ein Geruch, der irgendwie warm, beruhigend und aufregend zugleich war und der mich für immer begleiten sollte."
Auch Madeleine denkt vielleicht schon in Kindertagen daran, eines Tages eine Schriftstellerin zu werden. Zu ihrem 6. Geburtstag schreibt sie:
"Eines der Geschenke, von der Kusine meiner Mutter, war, was ich meine Schatzkiste nannte. Das war eine braune Schatulle, die in Dutzende von Fächern unterteilt war, und in jedem von ihnen fand sich eine Auswahl an Schreibutensilien. Es gab Büroklammern, Kärtchen und Schlüsselringe, es gab Etiketten, Gummibänder und Schreibfedern, es gab alles, wovon eine Schriftstellerin träumen konnte, und vielleicht sah ich mich damals sogar schon als Schriftstellerin. Ich besaß diese Schatulle viele Jahre lang und hielt sie in Ehren."
Sie berichten, wie sie sich kennenlernen und zusammen arbeiten, sich erst gar nicht sooo sympathisch waren, sich wieder trennen, um eigene Wege zu gehen, die im Endeffekt dorthin führen, wo sie sich wieder treffen und ihr weiteres Leben miteinander verbringen. Als Leona eines Tages wirklich nicht mehr wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, macht Madeleine ihr ein Geschenk, das ihre Zukunft bestimmt.
Dass ich die meisten alten Buchtitel und Autoren nicht kenne, tat meinem Lesespaß absolut keinen Abbruch. Dieses Buch ist schon nach dem ersten Lesen meine Lieblings-Biografie geworden. Mittlerweile habe ich es schon ein zweites Mal gelesen.